Buchbesprechung: „Lass uns mit den Toten tanzen“

ist der autobiographische Roman der Kapitänin PIA KLEMP, die Seenotrettung am Mittelmeer für die Flüchtenden aus Afrika schafft.

Nichts für Zartbesaitete, nichts für Theoretiker, nichts für Fleischesser und Milchtrinker, nichts für CDU- und AfD-Wähler, nichts für Sozialhilfeempfänger, Versicherungsangestelle und überhaupt für Leute, denen es schlecht oder vielleicht mal mittelgut geht, also nichts für die Mehrheit der Menschen, zu der ich auch mich zähle.

ABER eine hoch spannende Schilderung von Flüchtlingsrettung auf dem Mittelmeer, die Arbeit auf dem Schiff, die Zusammenarbeit der Crew und die Kämpfe gegen die Rettungsverhinderungen durch Staats- und Hafenpolizei und Gerichte, d. h. gegen die Auswirkungen der konkreten Politik.
Wer also nicht, wie ich, in politischer Literatur auch immer eine Perspektive für die Allgemeinheit sucht, sondern speziell an der Flüchtlingsrettung interessiert ist, für den ist der Roman auf jeden Fall aufschlussreich.

Es fängt zwar etwas reißerisch an. Hemingway und Bukowski winken aus der Ferne bei der eher klischeehaften Szene in einer Hafenkneipe. Die Sprache ist mir zu punkig und zu durchblickerhaft. ABER ich habe mich bei meinem eigenen Anspruch gepackt, der da lautet: es müssten Stücke, Romane und alles Mögliche geschrieben werden, die uns die heutigen Basiskämpfe zeigen. Wo gezeigt wird, wie es da zugeht. Damit wir uns eine Vorstellung davon machen können, darüber reden können, uns verständigen können. Damit wir wissen, von welchen Gesellschaftskonzepten da ausgegangen wird, wie die wirken, auch auf die Einzelnen und wie die damit umgehen – und habe das Weiterlesen NICHT BEREUT.
Denn in Bezug auf diesen Anspruch ist Pia Klemps Roman eine Pioniertat – und unbedingt empfehlenswert.

Sympathischer ist sie mir deswegen nicht geworden, denn der schon erwähnte Sprachstil entspricht einer Haltung, die etwas Elitehaftes an sich hat. Elite wortwörtlich verstanden, nicht wie gewohnt auf die Reichen aus der Upperclass anzuwenden, sondern elitär im Sinne von ausschließend.
Damit ist nicht die Verachtung für die verlogenen EU-PolitikerInnen und der gewaltige Zorn auf die Machos bei Hafen- und Staatspolizei gemeint. Die sind mehr als berechtigt, mitunter sehr erfrischend.
Aber die immer wieder artikulierte und mit der Zeit auch zwischen den Zeilen spürbare Verachtung all derer, die nicht so weit sind, dass sie aus den systemischen Strukturen ausbrechen können, ist kontraproduktiv.

Wir, die gewöhnlichen Menschen, die Miete zahlen, einkaufen gehen und z. B. den Preissteigerungen aller Produkte, auf die wir angewiesen sind, ob Strom, Miete, Lebensmittel, ohnmächtig gegenüberstehen – tja, wir sind in den Augen der Autorin vermutlich zu blöd, um Häuser zu besetzen und uns aus Containern zu kleiden und zu ernähren. Alter und Krankheit z. B., diese elenden Schwächen, die Teilnahme an Kämpfen unmöglich machen, kommen in den weltverbesserischen Gedanken der Protagonistin nicht vor. Für sie ist die Bevölkerung der BRD durchweg privilegiert und nur am Erhalt ihrer Privilegien interessiert. Der ganze Bereich Arbeit, Arbeitsbedingungen, Löhne sind nicht existent in ihrem Bewusstsein. So auch weder Gewerkschaften noch soziale Initiativen (z. B. Mieterkampf). Es fehlt ihr eine Vorstellung von gegenseitiger Solidarität – einer gegenseitigen Hilfe auf Augenhöhe in einer sozial organisierten Gesellschaft, für die wir alle uns auf allen Ebenen einsetzen könnten.

Der Ton erinnert mich an die intolerante Ruppigkeit der HausbesetzerInnen in den 80igern. Jaja, ich weiß schon, Punk war seinerzeit als Protest gegen den Kapitalismus gerichtet. Und gleichzeitig als Abgrenzung gegen die linken Theoretiker, Bessergestellten und Schwätzer gemeint. Er hat behauptet, er sei die Sprache des Proletariats. Aber das Proletariat fühlte sich nicht angesprochen. Jedenfalls nicht genug, um auch Häuser zu besetzen oder sich zu solidarisieren.
Dennoch lege ich das BUCH den Leserinnen und Lesern sehr ANS HERZ. Es ist neben den jetzt so ausführlich besprochenen Schwächen die nacherlebbare und mitfühlbare Geschichte einer Kämpferinnenseele, deren Niederlagen, Selbstzweifeln und Höhenflügen und rauschhaften Momenten der Freiheit.

Dass sie trotz der bewundernswerten Leistung, die sie erbringt, Selbstzweifel hat, ist erstaunlich und führt beim Lesen in die Ideologie der Ökofundis; denn es geht um die Auseinandersetzung mit Vorwürfen, dass sie nun nicht mehr Meerestiere rettet (was sie als Kapitänin und Meeresbiologin früher tat) sondern Menschen; sogar hauptsächlich Männer, sexistische und patriarchale. Und an diesen Stellen wird deutlich, dass der Rettungsauftrag möglicherweise der Grund für das ist, was ich „elitehaft“ bezeichne. Einerseits ideell und sozial verbunden nur mit einer Szene – eben nicht offen zur Gesellschaft hin – andererseits als „Retterin“ von vornherein was Besseres.

Was sie aber, abgesehen von der „Retterin“ ist, sogar abgesehen von der Kämpferin. SIE IST KAPITÄNIN. Sie versteht was von ihrem Beruf, sie kann was – ebenso wie die von ihr geliebte Crew. Das ist uneingeschränkt mitreißend und hat mein Bild von den nur großmäuligen Punks, Hausbesetzern, Autonomen und Ökofundamentalisten ins Schwanken gebracht. Diese Zusammenarbeit, die organisierte und die spontane, das Können der Einzelnen und ihre Bereitschaft, sich auf schwierigste und unterschiedlichste Situationen einzulassen, macht Hoffnung und birgt soziale Perspektive. In diesem Sinn ist der Roman hoffentlich, abgesehen von einem weiblichen Abenteuerroman, auch ein Beispiel für junge Menschen.
Ich jedenfalls fand es zuletzt schade, als der Roman zu Ende war. Mich hätten die Weiterentwicklungen sehr interessiert. Und vielleicht gibt es ja Fortsetzungen.


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