Nachruf auf Herrn Triandafyllos

Der Dreißigblättrige ist gestorben. Herr Rose, Herr Triandafyllos; denn 30 Blätter hat die Rose und deshalb heißt sie im Griechischen Triandafyllo, Dreißigblättrige. Auch Frau Triandafyllos ist gegangen. Seit Wochen steht die Wohnung leer, die einmal zum Teil eine Flickschneiderei war. Im Erdgeschoss, der Schneidereiraum nach Süden zu. Und, wie man jetzt sehen kann, mit drei weiteren Räumen, zur Seite und nach hinten.
Früher, als ich bei Herrn Triandafyllos noch nähen ließ, machte das alles einen viel kleineren Eindruck. Natürlich, denn im jetzt groß scheinenden Ladenraum stand der lange Schneidertisch, die Nähmaschine, von der Decke hingen die Kleider, Anzüge, Hosen und Röcke, und ein Vorhang teilte noch die Umkleidekabine ab.
Betrat man den Laden, kam man in ein sonniges, warmes Nest.
Herr Triandafyllos war übrigens hübsch. Nicht gerade ein Ausbund an Männlichkeit, aber Schneider brauchen schließlich keine Muskelpakete. Doch Frau Triandafyllos war noch hübscher. Sie hatte einen beneidenswerten Teint. Eine haselnussfarbene Haut und zartrosa Wangen. Sie hatte eine gute Figur und, ihrem Beruf Ehre machend, war sie immer bestens gekleidet. Beide hielten auf sich.
Früher kaufte ich auf dem Markt oft billige, aber extravagant gemusterte Stoffe und ließ mir von Herrn Triandafyllos davon einfach geschnittene Sachen nähen; ein Hängeblüschen oder Kissenbezüge z.B. Mir schien, dass er beleidigt war, wenn ich ihm nur eine Hose zum Kürzen oder zum Einsetzen eines neuen Reißverschlusses gab.
Ich und mein Mann Thomas waren für das Ehepaar Triandafyllos, wie mir schien, eine Provokation mit unserer hippiehaften, ungebügelten Erscheinung, unseren politischen Aktivitäten im Viertel, unserer Herumtreiberei in den Tavernen der Nachbarschaft, unseren Kontakten zu anderen Griechen, teilweise kommunistischer Herkunft und vor der Junta geflohen. Er behandelte mich mit einer Art ironischer Überlegenheit, während sie sich mit abschätzigen Blicken begnügte.
Allmählich fragte ich mich, warum ich weiterhin zu ihnen ging. Aber abgesehen von der praktischen, direkten Nachbarschaft war da noch etwas. Eben dieses Nestartige, diese Brutwärme in ihrem Geschäft. Und die Türen zu den, wie mir schien sehr finsteren Hinter- und Nebenräumen, in denen sich auch eine Küche, ein Schlafzimmer und das Kinderzimmer befinden mussten. Sie hatten einen Sohn und eine Tochter. Letztere eine kleine Schönheit. Sie verkörperten eine eigene kleine Welt. Sie waren ganz für sich. Nie sah man privat Leute zu ihnen kommen. Aber an Sonntagen sah man sie manchmal ihr Auto besteigen. – Herr Triandafyllos erschien hin und wieder im Hof, wo ich ihn von meinem Fenster aus sah, wenn er den Müll entsorgte. Aber ihre Kinder spielten nie dort. Deutsche Rangen tobten zwar oft im Hof – die Kinder Triandafyllos waren dafür viel zu gut erzogen. Mehr als höfliche Grußworte hörte ich von ihnen, bzw. nur von der Tochter, nie.
Einmal brachte ich Herrn Triandafyllos ein Kleid, das mir Thomas geschenkt hatte zu einer Veränderung. Es war aus feinstem Cord, von hellem Taubenblau. Unter der Brust war es mit einem blau, rostrot und weiß gemusterten Seidenband gefasst. Darüber das Oberteil in Kimonofasson, an den weiten Ärmeln und um den V-Ausschnitt mit demselben Band verziert, war es ein außergewöhnlich schönes Kleid. Doch war es mir ein wenig zu eng geworden. Ich beauftragte Herrn Triandafyllos, am Rücken mit einem, dem Seidenband ähnlichen, Stoff, den ich am Markt gefunden hatte, einen Zwickel einzunähen. Das brachte er nur so schief zustande, dass das Kleid verdorben war. Zum ersten Mal war ich nicht gutmütig, sondern kritisierte das Ergebnis, worauf er mich praktisch aus dem Laden schmiss.
Ohnehin hatte ich schon eine Schneiderei ausgemacht, in der solidarischere Verhältnisse herrschten. Also ging ich von da an dorthin.
Einige Jahre grüßten Triandafyllos und ich uns nicht mehr. Aber allmählich überwog doch das Nachbarschaftliche. Wir grüßten einander wieder. Ich sah die Kinder groß werden – aber es so aus, als ob der Laden nicht mehr liefe. Herr Triandafyllos bekam ein Bäuchlein. Irgendein Grieche erzählte mir, dass der Sohn spielsüchtig geworden sei und die Eltern ruinierte. Frau Triandafyllos ging aber immer noch bestens angezogen zum Einkaufen. Ihn sah ich immer öfter selbst in die Zockerkneipe eilen.
Mittlerweile waren auch die Tür und die großen Fenster zum Laden mit Vorhängen und Gardinen zugehängt.
Einmal schien mir, dass Frau Triandafyllos in Trauer war. Aber das konnte ein Irrtum sein. Sie war ja immer dunkel gekleidet gewesen.
Vor einem Jahr noch schlich ich an ihrer Ecke herum, weil ich das Geheimnis des eingangslosen Hauses, in dem sich ihr Laden mit dem separaten Eingang und ihre Wohnung befanden, lüften wollte. Und vor wenigen Wochen waren plötzlich alle Gardinen und Vorhänge beseitigt, die Räume leer und einzusehen.
Wieder einmal standen wir rätselnd vor dem Eingang zum Nebenhaus, als ein Nachbar uns darüber aufklärte, dass dies auch der Eingang zum Triandafyllos‘schen Haus ist. Auf unsere Frage, wo die jetzt wären, erfuhren wir von ihrem Tod. Nichts Näheres. Nichts über die Kinder. Das Leben der Dreißigblättrigen war vorbei.
Ein beinahe vorbildliches, stilles, ein bisschen boshaftes Leben, um das ich jetzt traurig bin.



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